Spannung pur im Thuner Rittersaal mit Michel-André Fels

Spannung pur im Thuner Rittersaal mit Michel-André Fels

Im kühlen Rittersaal Schloss Thun fröstelt das gebannt zuhörende Publikum selbst am heissen Sommerabend bei der Erinnerung an zwei der berühmtesten Fälle im Berufsleben des ehemaligen Generalstaatsanwaltes Michel-André Fels. Mit ruhiger Stimme und präzis gewählten Worten spricht er über prägende Erfahrungen und wie er seinen Glauben an eine gute Gesellschaft bewahrt hat.

Ein Fall für den Staatsanwalt: Talk mit Michel-André Fels
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Am heissen Sommerabend kühlen die dicksten Mauern Thuns den stimmungsvoll beleuchteten Rittersaal im Schloss. Durch die Fenster, halb verdeckt durch grimmig wirkende Ritterrüstungen, sind dräuende Gewitterwolken zu sehen. Der historische Boden schwingt unter den eintreffenden Besucher:innen. Sie nehmen auf den Stuhlreihen Platz, sehen sich beinahe etwas eingeschüchtert um, denn es geht an diesem Abend um Verbrechen und Strafe, um Gesetz und Rechtsprechung, um Menschen vor und hinter dem Gericht. 

Darum geht es auch in der aktuellen Ausstellung im Schloss Thun «Recht im Wandel. Gerichte und Gerichtete in der Thuner Geschichte», die Anlass für diese erste Zusammenarbeit zwischen Schloss Thun und UND Generationentandem ist.

Elias Rüegsegger (31) spricht mit Michel-André Fels (65), dem kürzlich pensioniertem, langjährigem Generalstaatsanwalt des Kantons Bern, über Gesetze, Verfahren und Erlebnisse, die sein Berufsleben prägten. Dafür ist das Schloss der perfekte Rahmen. Hier tagte das Regionalgericht Oberland des Kantons Bern bis zu seinem Umzug 2009 in ein modernes Gebäude an die Thuner Scheibenstrasse.

Gericht und Gerichtete – der Talk zur Ausstellung.
Bild: Hans-Peter Rub

«Uf z Schloss müesse»

Ein würdiger Gerichtssaal und dezent dunkle Kleidung der beteiligten Personen sind wirkungsvolle «Requisiten». Sie bereiten dem Auftritt des Gesetzes eine Bühne und gebieten Respekt. Wenn jemand früher anmerkte, er müsse «uf z Schloss», so wusste man: Hier geht es um Wichtiges, egal ob in Sachen Zivil- oder Strafrecht.  Michel-André Fels amtete auch einige Jahre an diesem Ort. Er habe schöne Erinnerungen an diese Zeit, meint er und: «Heute habe ich ins Schloss dürfen.»

Was tut eigentlich ein Staatsanwalt?

Aus Kriminalfilmen wissen wir: Staatsanwält:innen betreten jeweils in korrektem Anzug die Szene, werden von kundigen Mitarbeiter:innen über erste Details am Ort des Verbrechens informiert. Dann nehmen die Ermittlungen ihren Lauf bis zur Schlussszene mit dem fulminanten Plädoyer. Und dazwischen? Die Frage an den Gast lautet: «Was tut eigentlich ein Staatsanwalt?» Das habe wenig mit Krimi zu tun und sei vorwiegend Aktenstudium im Büro, meint Michel-André Fels. Der Anwalt des Staates bereite anhand der von ihm angeordneten polizeilichen Untersuchungen die Anklageschrift vor. Dann erfolge der Rollenwechsel von der objektiven Untersuchungsbehörde zur Partei vor Gericht, die einen Antrag auf das Strafmass stellt.

Wir müssen Sorge tragen zu unserer Justiz, meint Michel-André Fels (65).
Bild: Hans-Peter Rub

Michel-André Fels war zudem Generalstaatsanwalt und bewältigte damit eine riesige Führungsaufgabe, indem er, wie im Gesetz vorgesehen, für eine effektive und sachgerechte Strafverfolgung im Kanton verantwortlich war.

Was sind die häufigsten Verbrechen?

Die Palette sei sehr breit. Mord und Totschlag sind in einem Kanton wie Bern nicht die häufigsten Taten. Aber Sexualdelikte gebe es häufig. Die Bevölkerung sei sensibilisiert und Opfer – egal ob Frau oder Mann – wagen eher den Schritt in die Öffentlichkeit und zeigen öfter an. Michel-André Fels begrüsst die Revision Schweizer Sexualstrafrechts im Juni 2024 im grossen Ganzen, die sexuelle Gewalt sei damit ein Stück weit aus der Dunkelkammer geholt worden. 

Frage-Antwort-Pingpong zur Auflockerung.
Bild: Hans-Peter Rub

Die schwersten Fälle: «Saxetenbach-Unglück» und «Thunerseemord»

Auf diese Fälle angesprochen wirkt der sonst so souverän auftretende Michel-André Fels nachdenklich, ja fast demütig. Bei Erinnerungen an diese beiden Fälle steigen entsetzliche Bilder in ihm auf.

Nein, Einzelheiten dazu könne und wolle er nicht erzählen. «Das ist unzumutbar». Beim «Thunerseemord» habe er das erste und einzige Mal ein Plädoyer erst einmal weglegen und eine Pause einlegen müssen.

Beim Unglück am Saxetenbach sei der Gedanke an die Schicksale der jungen Leute das Schwerste gewesen. Aber auch Angehörigen persönlich gegenüberzutreten und sie zu begleiten, hätte ihn viel Kraft gekostet. Danach seien dafür Care-Teams professionalisiert worden. Ein Opfer sei bis heute nicht geborgen… 

Die betroffene Stille im Saal ist mit Händen zu greifen. Das Publikum folgt gebannt den Ausführungen. Diese Fälle haben die meisten im Saal mitbekommen, haben sie nah verfolgt, mitgebangt, mitgetrauert und wohl auch eigene Meinungen gebildet. 

Wie geht es dem Schweizer Recht, Herr alt Generalstaatsanwalt?

Die Schweiz leide etwas unter dem Föderalismus mit 26 Kantonen und 26 Strafprozessordnungen. Aber abgesehen davon, habe die Schweiz ein verlässliches Justizsystem und das Recht sei eine tragende Säule der Gesellschaft. Und, ja, sie koste etwas. Ihn ärgere es, wenn er verschiedentlich in Leserkommentaren zu Gerichtsberichterstattung lese «Was das wieder kostet!» Die Schweizer Justiz sei nicht eine profitgetriebene Institution und sie sei demokratisch gestaltet worden. 

Es sei gefährlich, wenn die Justiz dem Willen politischer Führungen angepasst werde. Wir hier müssen Sorge tragen zu unserer bestehenden Dritten Gewalt im Staat, mahnt der erfahrene Jurist. 

«Ich glaube an den Menschen»:
Bild: Hans-Peter Rub

Einsichten und Überzeugungen

Den eiskalten Bösewicht, der Gefallen am Quälen findet, gibt es – und er ist nicht psychisch gestört. 

Strafe muss sein. Täter:innen müssen für ihre Taten einstehen. 

Der Strafvollzug kann helfen, ein besserer Mensch zu werden. Aber es ist eine Riesenarbeit – auf beiden Seiten.

«Ich glaube an den Menschen.» Es sind nur wenige, die nicht respektvoll sind. Wir sind eine gute Gesellschaft. 

Diese Sätze und noch einige mehr bleiben hängen aus diesem Gespräch. Die Besucher:innen stehen auf und steigen die lange Treppe runter in den Schlosshof, wo bei einem kleinen Apéro die Gespräche in Gang kommen. Vieles wird noch weiterdiskutiert – kein Wunder, bleibt man derart nahe den Mauern des ehemaligen Gefängnisses noch länger im Thema gefangen.

Der alt Generalstaatsanwalt hat uns für einen Abend lang in seine Berufswelt mitgenommen. Er sei mit einem guten Gefühl aus dem Amt gegangen, sagt er. Das glaubt man ihm sofort. Als Überzeugungstäter, wie ihn der Moderator nannte, habe er im Job Erfüllung gefunden. Das Leben als Pensionierter müsse er jetzt noch etwas üben.

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