Von Wolf und Waldschnepfe: Der konstruktive Kompromiss oder ein Angriff auf den Artenschutz?

Von Wolf und Waldschnepfe: Der konstruktive Kompromiss oder ein Angriff auf den Artenschutz?

Rasant und informativ: Das Politpodium zum Jagdgesetz im Videopodcast. Die Diskussion gibt Antworten, zeigt, warum die Diskussion nicht entlang politischer Ideologien verläuft, warum es beim Jagdgesetz auch um die Waldschnepfe geht und wer von den Gästen am liebsten selbst ein Wolf wäre.

Streitbare Politpodium-Gäste.

Und am Ende begeben sich die DiskutantInnen in eine Welt voller Wunder: Sie alle können sich in ein Tier verwandeln. Hans Jörg Rüegsegger (50), der Bauer aus Riggisberg, möchte mal eine Biene sein – «ganz klar». Mathias Müller, Psychologe und Berufsoffizier, wählt den Waschbären als «extrem flexibel, anpassungsfähig – ein brillantes Tier». Verena Wagner von Pro Natura möchte mal ein Mauersegler sein. Und Nils Fiechter, Gemeindeverwalter in Oberwil und vor allem umtriebiger und umstrittener Jung-SVPler, schiesst zum Schluss den Vogel (zum Glück nicht den Mauersegler) ab: «We ni grad chönnt wähle… de möchti gärn… e Wolf sy.»

Waschbär (Mathias Müller), Mauersegler (Verena Wagner), Wolf (Nils Fiechter) und Biene (Hans Jörg Rüegsegger): Zum Schluss eine Verwandlung in ein Tier. Hier auf dem Foto noch vor dem Podium. – Bild: Annemarie Jöhr

Beim Politpodium vom Mittwoch, 16. September geht es um Luchs, Biber, Höckerschwan und Waldschnepfe – vor allem aber um den Wolf. Das doch eher komplexe Jagdgesetz sorgt im Berufsbildungszentrum IDM in Thun dank sympathischer Gäste und kurzweiligem Talk vor gut 100 – vor allem jungen – Menschen für unterhaltsame, informative politische Bildung.

Wie viele Zähne ein Wolf hat – das weiss von den Podiumsgästen niemand. 42 sind es. Solche und ähnliche Fragen stellt Moderator Elias Rüegsegger (26) den Gästen in Form eines Quiz‘. Was aber alle wissen: Wann der erste Wolf wieder in die Schweiz eingewandert ist: 1995. Seit diesem Zeitpunkt erhöhte sich die Population der Wölfe stetig. Inzwischen leben mindestens 80 Wölfe in der Schweiz.

Seit 1995 zurück: Der Wolf breitet sich in der Schweiz aus, 2019 wurden knapp 80 gezählt. – Grafik: KORA
«Der Wolf gehört nicht in die Schweiz», so Nils Fiechter. – Bild: Darleen Pfister

Damit nehmen auch die Konflikte mit dem Mensch wieder zu. Nils Fiechter provoziert: «Der Wolf gehört nicht in die Schweiz.» Darauf Verena Wagner entsetzt: «Das heisst, Sie wollen ihn ausrotten…» So weit wollte Jagdgesetz-Befürworter Hans-Jörg Rüegsegger vom Bauernverband nicht gehen – er befürwortet die Artenvielfalt, zu der auch der Wolf gehöre – von Ausrotten könne keine Rede sein. Aber: «Wenn der Wolf dem Menschen zu nahe kommt, muss man gewisse Gesetze anpassen.»

Nein, ausrotten wolle er den Wolf nicht: Hans Jörg Rüegsegger. – Bild: Darleen Pfister

Die Befürworter beschwören nun vielfach den pragmatischen Kompromiss, den dieses Gesetz beinhalte. Denn auch die Befürworter seien nicht überall einverstanden – etwa beim damit ausgebauten Herdenschutz. Nils Fiechter wedelt dazu mit einem Gutachten in der Hand herum: «Das ist für die Bauern ein grosser bürokratischer Aufwand.»

Wedelt mit einem Herdenschutzgutachten in der Hand herum: «Das ist ein grosser Aufwand.» – Bild: Darleen Pfister
Rasantes – aber faires Podium vor gut 80 Menschen. – Bild: Darleen Pfister

Der Wolf erhitzt die Gemüter in der Debatte ungemein. Doch geht es auch noch um mehr. Eine grosse Differenz zeigte sich beim Podium auch hier: Ist das Jagdgesetz nun ein Schritt in Richtung pragmatischem Artenschutz – oder sogar ein Rückschritt? «Tiere wie das Schneehuhn, die Waldschnepfe oder der Birkhahn werden im Gesetz mit keinem Wort erwähnt», redet sich Verena Wagner in Fahrt: «Wir leben in Zeiten des Artensterbens im 21. Jahrhundert und produzieren ein solches Gesetz…»

«Wir leben im 21. Jahrhundert!» Verena Wagner findet das neue Jagdgesetz in Bezug auf das Artensterben eine Katastrophe. – Bild: Darleen Pfister

Nils Fiechter entgegnet, dass ohne neues Gesetz ja auch nichts besser werde. Darauf Mathias Müller, SVP-Grossrat: «Das ganze Gesetz ist ein Murks, zurück an den Absender!» Eine bessere Lösung sei ganz sicher nötig. Und Verena Wagner setzt einen drauf: «Ich kann es nicht akzeptieren, wenn sich die Befürworter nun als die grossen Artenschützer inszenieren…»

Dieses Gesetz? Zurück an den Absender! – Bild: Darleen Pfister
«Ich kann das nicht akzeptieren», so Verena Wagner. – Bild: Darleen Pfister

Auf dem Podium

Mit grossem Elan – in der Sache hart, menschlich fair: So präsentierten sich die Podiumsgäste vor dem Publikum.

Verena Wagner (61) ist Präsidentin von Pro Natura Bern und engagiert sich im Komitee gegen das revidierte Jagdgesetz. – Bild: Annemarie Jöhr
Nils Fiechter (24) wurde mit 22 Jahren Gemeindeverwalter in Oberwil i.S., ist Co-Präsident der Jungen SVP Kanton Bern und Parteileitungsmitglied der Jungen SVP Schweiz. –
Bild: Darleen Pfister
Hans Jörg Rüegsegger (50) ist Präsident des Bauernverbands des Kantons Bern.
Der SVP-Grossrat und Landwirt engagiert sich für das «fortschrittliche Jagdgesetz». –
Bild: Darleen Pfister
Mathias Müller (50) hat an der Universität Bern Psychologie studiert und arbeitet seit zwanzig Jahren als Berufsoffizier. Heute ist er Kommandant der Rekrutierung der Armee. Er ist SVP-Grossrat. – Bild: Annemarie Jöhr
Moderator: Elias Rüegsegger. – Bild: Annemarie Jöhr

Drittes und letztes Podium

UND Generationentandem lancierte vor den eidgenössischen Abstimmungen insgesamt drei Politpodien zur Begrenzungsinitiative (2.9.), zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge (9.9.) und zum Jagdgesetz (16.9.). Die Podien fanden live mit Corona-Schutzkonzept und digital via Livestream statt – dies auf Facebook. Die aktive politische Debatte ist durch Corona bedroht. Der Verein will mit diesen drei Podien im Herbst einen Beitrag zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die wichtigen Abstimmungsvorlagen leisten. Auch vor den nächsten eidgenössischen Abstimmungen sind weitere Politpodien geplant.

Podien gibt’s auch künftig: Jeweils vor den Abstimmungen. – Bild: Darleen Pfister
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